No Man's Land
Während des Bosnien-Krieges stehen sich im Schützengraben zwischen den verfeindeten Linien plötzlich zwei Soldaten gegenüber, der Bosnier Ciki und der Serbe Nino, gegenüber. Während die beiden Männer eine Lösung für ihre ausweglose Situation suchen, entschließt sich ein mutiger UN-Sergeant, ihnen entgegen den Anweisungen seiner Vorgesetzten zu helfen. Die Medien schalten sich ebenfalls in den Konflikt ein, indem sie den scheinbar unwichtigen Vorfall in eine Medienshow verwandeln, die internationale Aufmerksamkeit erregt.. In der gespannten Lage zwischen den vielen beteiligten Seiten und der auf ein Ergebnis wartenden Weltpresse versuchen Nino und Ciki verzweifelt, um ihr Leben inmitten dieses Wahnsinns des Krieges zu verhandeln.
Mit dem Spielfilmdebüt einen Oscar gewinnen, das schaffen nicht viele Regisseure. Vor allem nicht, wenn es um den besten fremdsprachigen Film geht. Erst recht nicht, wenn man aus dem cineastisch vollkommen unbeleckten (weil keine zehn Jahre alten) Land Bosnien-Herzegowina kommt. Ganz bestimmt nicht, wenn es eigentlich das Jahr der bezaubernden Amelie ist. Umso überraschender war der Erfolg von Danis Tanovics "No Man's Land", der mit nicht viel mehr als ein paar erfolgreichen Filmfestivals im Rücken sowohl den Golden Globe als auch den Oscar gewann und dabei niemand geringeren als Jean-Pierre Jeunet und seinen sowohl von Kritik als auch Publikum frenetisch gefeierten "Die fabelhafte Welt der Amelie" ausstach. Ob das im objektiven Vergleich gerechtfertigt war, darüber lässt sich streiten, fest steht jedoch, dass "No Man's Land" nicht nur als erster relevanter Beitrag zum Balkan-Konflikt wahnsinnig wichtig, sondern auch der beste Kriegsfilm seit "Three Kings" ist. Und ein weiterer Beweis dafür, was man mit einfachen Mitteln alles erreichen kann.
Wer in einem gerade im mühsamen Wiederaufbau befindlichen Land wie Bosnien-Herzegowina einen Film drehen will, kann keine großen Sprünge machen. Aus dieser Not macht Tanovic jedoch eine kongeniale Tugend, indem er die gesamte zerfahrene Situation des Krieges auf wenige Personen und einen einzigen Schauplatz reduziert: Ein Schützengraben im Niemandsland zwischen der serbischen und der bosnischen Frontlinie, wo sich aufgrund von widrigen Umständen - deren komisch-tragisches Potential zu gut ist, um hier leichtfertig verraten zu werden - ein Serbe und zwei Bosnier wieder finden, von denen einer auf einer Springmine liegt, die explodieren wird, sobald man das Gewicht von ihrem Auslöser entfernt. Verfeindet aber beiderseits daran interessiert, lebend aus diesem Graben herauszukommen, ziehen die Soldaten in einer Zweckgemeinschaft die Aufmerksamkeit ihrer Kameraden auf beiden Frontseiten auf sich - die solche prekären Zwischenfälle am liebsten der UNO überlassen. Und eh man sich's versieht, mutiert diese bizarre Situation zu einem mittelschweren internationalen Zwischenfall: französische UN-Blauhelme, die nach bestem Gewissen helfen wollen, ein englisches Kamerateam, das eine Riesen-Story riecht, ein deutscher Sprengstoffexperte, und fröhlich Kompetenzen verschiebende Vorgesetzte, denen es nicht um eine Lösung, sondern um die Wahrung des eigenen Gesichts geht.
Dass man in diesem Paradebeispiel fürs internationale Durcheinander des Balkan-Konflikts reichlich zu lachen hat, ohne dass die Ernsthaftigkeit der Situation vernachlässigt wird, ist wahrscheinlich Tanovics größte Leistung. Eine Kriegskomödie, die zu gleichen Teilen Absurdität als auch Tragik des bewaffneten Kampfes einzufangen weiß, ist ein schwieriges Unternehmen. Dieses auch noch derart überzeugend hinzubekommen verlangt ein wahres Ausnahmetalent.
In einer klassischen "One thing on top of the other"-Dramaturgie entfaltet Tanovic ein immer komplexer und bizarrer werdendes Szenario, hält sowohl Tempo als auch Unterhaltungswert seines Films auf permanent hohem Niveau und entwirft geradezu beiläufig in diesem kleinen Schützengraben einen Mikrokosmos des Bosnien-Krieges: Zwei verfeindete Soldaten, die dieselbe Sprache sprechen, aber dafür die ihrer vermeintlichen Beschützer nicht verstehen. Die sich gegenseitig die Schuld für den Krieg geben, während in dieser Frage immer der recht hat, der gerade eine Waffe in der Hand hält ("Weil ich ein Gewehr habe, und du nicht" ist ihre Standarderklärung auf jede Warum-Frage des anderen). Eine "Schutztruppe", die nicht viel mehr als ein diplomatisches Alibi darstellt und vor lauter Nichteinmischungs- und Neutralitätsgrundsätzen in vollkommener Tatenlosigkeit versackt, während ihre Kommandanten auf einem Medienseminar in Genf verweilen. Eine omnipräsente Journalistenmeute, die die Unmenschlichkeit ans Tageslicht zerren will, das aber letztlich auch nur für die Quote tut. Und in der Mitte dieses ganzen Chaos ein armer, wehrloser Mensch (der hier stellvertretend fürs ganze bosnische Volk gesehen werden kann) auf einer Mine, die ihn unweigerlich töten wird, wenn ihm die zerstrittene Meute um ihn herum nicht zur Hilfe kommt. Und vielleicht selbst dann drauf geht.
Obwohl hier jede Figur einen enormen symbolischen Charakter hat, verliert sich "No Man's Land" zu keinem Zeitpunkt in bedeutungsschwangerer Metaphorik, sondern bleibt auch auf seinem einfachsten dramatischen Level - der bloßen Entwicklung seiner Geschichte - mehr als wirksam. So kann er das Publikum über die volle Länge fesseln und ihm gleichzeitig elegant seine Kernaussagen unter die filmische Feinkost mischen.
Weitab von allen großen Schlachtfeldern zeigt Tanovic die mal absurde, mal öde, mal tragische Alltäglichkeit des Krieges, vermeidet es trotz seines persönlichen Hintergrunds, eine klare Position zu beziehen, wechselt elegant zwischen fast dokumentarischen sowie elegant satirisch-überhöhten Elementen und widersteht der nahe liegenden Versuchung, seiner Geschichte durch ein einfaches Happyend die Kraft zu nehmen. Kurz: Er liefert einen ebenso einfachen wie komplexen, ebenso lustigen wie traurigen Streifen ab, der mit entwaffnender Ehrlichkeit und Offenheit zeigt, wie man im Kriegsfilm-Genre seinem Thema wirklich gerecht werden kann.
Rein filmisch der Brillanz von Jeunets "Amelie" vielleicht unterlegen, ist Tanovics "No Man's Land" nichtsdestotrotz der verdiente Oscar-Sieger, denn so wurde diesem durch und durch bemerkenswerten Film wenigstens die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm zusteht. Fragt sich nur, warum der Deutschlandstart über ein Jahr auf sich warten ließ.
No Man's Land
Frankreich, Italien, Großbritannien, Belgien, Slowenien, 2001
Spielfilm, 98 Minuten, Farbe
Regie: Danis Tanovic
Drehbuch: Danis Tanovic
Kamera: Walther Vandem Ende
Schnitt: Francesca Calvelli
Besetzung: Branco Djuric, Rene Bitorajac, Filip Sovagovic, Katrin Cartlidge, Simon Callow u.a.
Produktion: Noé Productions, Fabrica Cinema, Man's Films, Counihan Villiers Productions, Studio Maj
BJF-Empfehlung: ab 12 Jahren
FSK: ab 12 freigegeben
Stichworte: Krieg,
Gewalt,
Komödie
Sprache: Deutsch


"'No Man’s Land' ist eine kammerspielartig fokussierte Kriegs-Parabel und Absurditäts-Komödie, souverän in Szene gesetzt, leichthändig, ohne aufgesetzte Kunst-Ambition oder Predigt-Absicht, herzzerreißend realistisch und in ihrer grimmigen Metaphorik staunenswert evident."
(Rainer Gansera, epd Film 02/2003)
Oscar 2002: Bester ausländischer Film
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